Schwarze Segel über der Mecklenburgischen Seenplatte

Um ein Pirat zu sein, ist nicht nur ein Schiff nötig. Ein Pirat braucht massig krasse Sachen und Ausrüstungsgegenstände, um ein wirklich echter Pirat zu sein.


Der Käpten - immer auf der Suche nach Beute...

Die Stiefel
Es ist ganz schön aufwendig, eine maritime Räuberberufskleidung anzuschaffen. Vor allem für einen Kapitän! Für einfache Matrosen würde ja schon eine zerrissene Hose reichen. Um auf dem schlüpfrigen Deck und in der Takelage sicher unterwegs zu sein, sind Piraten meist barfüßig. Also keine Schuhe. Arm sind sie auch. Vielleicht haben sie noch ein altes Tuch oder einen Strohhut auf dem Kopf, als Schutz vor der Sonne. Aber dieser armselige Aufzug würde nicht nur dem Selbstverständnis des Alestorm-Kapitäns widersprechen, sondern es würde ihn wohl auch niemand als Pirat erkennen! Er würde einfach nur aussehen, wie ein in die Jahre gekommener Tom Sawyer und/oder ein Obdachloser.

Nein, nein! Die moderne Popkultur hat genau definiert, wie ein Piratenkapitän auszusehen hat. Der Roman „Die Schatzinsel“ und Filme wie „Der rote Korsar“ und natürlich die „Fluch der Karibik“-Reihe haben die Ikonografie geprägt. Das bedeutete für Käpten Bahtlos, dass er erheblich mehr Mühe in seine Garderobe investieren musste! Also gut. Ein Bein hat er sich nicht abgeschnitten. Auch wollte er auf keine Hand verzichten, selbst wenn ein Haken zugegebenermaßen ziemlich cool aussieht. Und eine Augenklappe trägt nur der Pirat, der sich ungeschickt mit seiner Hakenhand gekratzt hat. Als unversehrter Pirat trägt Käpten Bahtlos keine Prothesen. Aber demzufolge benötigte er was an beiden Füßen. Da er ja auf seinem Piratenschiff der Chef ist, muss er nicht in die Takelage aufentern oder auf dem Deck herumrennen. Dafür hat er seine Crew. Also trägt Bahtlos Schuhwerk. Aber nicht irgendwelches Schuhwerk, sondern nur das allerfeinste. Superduper-Piratenstiefel!

Bei seiner Stiefelrecherche stieß Bahtlos auf ein Bild des französischen Korsaren René Duguay-Trouin. Dieser lebte von 1673 bis 1736. Duguay-Trouin trägt auf dem Bild Stulpenstiefel. „Das reicht mir als Beweis dafür, dass Stulpenstiefel authentische Piratenstaffage sind“, dachte sich Bahtlos. Nun musste er nur noch derartige Stiefel irgendwo bekommen. Das war gar nicht so einfach. Da die Treter dem Original möglichst nahe kommen sollten, brauchte der Käpten eine Weile, bis er die seiner Meinung nach „richtigen“ Exemplare fand. „Die meisten Stulpenstiefel, die als ‚historisch’ angeboten werden, sind aus Kunstleder oder haben zumindest Gummisohlen“, schildert Bahtlos seinen Leidensweg der Stiefelsuche. „Das ging natürlich gar nicht! Echtes Leder musste es schon sein, wie einst in der Karibik. Für die Sohle demzufolge auch.“ Eine Lederwerkstatt, die sich auf historische Schuhe spezialisiert hat, überzeugte ihn schließlich mit ihrem Angebot. Die Stiefel sind aus echtem Leder, auch die Sohle. Zudem ist die Sohle von Hand vernäht und vernagelt.

Es gibt also tatsächlich Schuster, die einen Schuh wie vor 300 Jahren herstellen können. „Natürlich musste ich auf meine Stiefel eine Weile warten. Handarbeit dauert eben“, so der Käpten. „Als ich die Dinger schließlich auspackte und anprobierte, war das schon ein merkwürdiges Gefühl. Sie sind unfassbar steif und die Ledersohle ist ganz glatt, so dass ich künftig aufpassen muss, dass ich nicht über Bord schlittere. Aber egal“, meinte er. „Die Stiefel sind so echt wie möglich, also bin ich zufrieden. Wer ein richtiger Pirat sein will, muss eben Unannehmlichkeiten akzeptieren.“ Zu diesen Unannehmlichkeiten zählte, dass die Stiefel zunächst so aussahen, als wenn sie gerade frisch aus der Werkstatt kämen. War ja auch so… „Das gefiel mir überhaupt nicht, denn das sah ja kein bisschen nach Abenteuer aus“, meinte Bahtlos. „Ich habe mir darum Sandpapier und dunkle Schuhcreme genommen und die Stiefel künstlich gealtert, damit es aussieht, als wenn ich darin schon die sieben Weltmeere befahren hätte.“

Damit werden Meuterer gestiefelt.

Die Weste und das Hemd
Wie jeder weiß, trugen Piraten weite Hemden mit noch weiteren Ärmeln inklusive ulkiger Rüschen. Und stets eine Weste dazu! Wie die Recherchen des Käptens ergaben, galt angeblich jeder Mann, der im Barock nur Hemd und Hose trug, quasi oben herum als unbekleidet. Es war demnach unfassbar unschicklich, ohne Weste herumzulaufen. „Da ich auf keinen Fall ein unschicklicher Pirat werden wollte, brauchte ich eine barocke Weste“, so Bahtlos. Zum Glück gibt es historische Klamotten – von den Jüngern des Reenactments stets nur „Gewandung“ genannt – im Internet zu Genüge. Reenactment – übersetzt ungefähr: Wiederaufführung oder Nachstellung – bezeichnet übrigens das Hobby, vergangene Epochen möglichst authentisch nachzuempfinden. Ob Wikinger, Cowboy oder Napoleonischer Soldat – da gibt es nichts, was nicht ge-reenactment wird.

„Moment mal!“, rief der Käpten erschüttert aus. „Werde ich jetzt auch so ein Freak?“ Nein! Natürlich nicht. Schließlich stellt Bahtlos nichts nach, sondern er ist wirklich Pirat! „Puh! Das war knapp! Beinahe wäre ich ein Freak geworden!", rief der Käpten. Er
bestellte sich eine barock anmutende Weste im Internet, die er über sein Piratenhemd zog. Im Gegensatz zur überschaubaren Anzahl infrage kommender Westen war die Auswahl bei den Barock- respektive Piratenhemden enorm. Dementsprechend einfach ist es daher für jeden Nachwuchsseeräuber, so ein Piratenhemd zu organisieren.

Alles andere als unschicklich.

Die Gürtel und die Gürteltasche
Ein schöner Gürtel ist der Stolz jedes Freibeuters. Wer es gern übertreibt, protzt mit einer dicken Schnalle, die den Gürtel schließt und alles andere als dezent ziert. Wer dann noch die Übertreibung übertreibt, wie es durchaus Seeräuberart ist, hängt sich noch einen zweiten Gürtel um. Wem das noch nicht reicht, der greift zum Drittgürtel. Je mehr Gürtel, desto eindrucksvoller der Pirat, lautet die Devise. Das meint zumindest Käpten Kahl Bahtlos. Er umgürtet sich vierfach und hat dadurch Platz für Gürteltasche, Messer, Geldkatze und alles, was er vielleicht noch an sich festbinden möchte.

Woher er die einzelnen Gürtel hat, kann der Käpten nicht mehr bei jedem so genau sagen. Den größten Gürtel hat er sich samt Gürteltasche in einer professionellen Lederwerkstatt anfertigen lassen. Das weiß er immerhin noch. Da gab es auch eine piratige Megaschnalle dazu. Einen breiten schwarzen Gürtel hat er sich ganz unpiratig selbst aus Rindsleder geschnitten, zusammengenäht und sogar die Schnalle selbst geschmiedet. Die anderen beiden sind wer weiß woher. „Ziemlich piratenmäßig“, meint der Käpten. „Schließlich haben auch die karibischen Seeräuber ihre Sachen aus einem unergründlichen Sammelsurium zusammengestellt.“ Allerdings mussten dafür die einstigen Besitzer nicht selten über die Klinge springen. Ob für Bahtlos' Gürtel jemand sein Leben lassen musste, ist ungewiss. Abgesehen von der einen oder anderen Kuh.

Ein Kuhfriedhof mit Klimbim dran.

Die Schärpe
Um wie ein waschechter Pirat auszusehen, braucht man unbedingt eine Stoffschärpe, elegant-verwegen um die Hüfte drapiert. Bahtlos' Schärpe sollte so aussehen wie eine, die er in dem Film „Fluch der Karibik“ gesehen hatte. Nach eingehendem Studium des „Originals“ besorgte er sich uralte Mangeltücher aus grobem Leinenstoff, die mit roten Linien-Mustern verziert waren. Er schnitt die Tücher in mehrere dünne Streifen und ließ sie von einer Schneiderin zu einem schalähnlichen Stück Stoff verbinden. Fertig war die Fluch-der-Karibik-Schärpe, auf die Bahtlos unglaublich stolz ist. Allerdings sei seine Schärpe auch schon als komischer Putzlappen verunglimpft worden, erzählt Bahtlos gern bei einem Humpen voll Ale. Einem finsteren Piratenkapitän gegenüber sollte man sich aber lieber mir derlei Unhöflichkeiten zurückhalten.

Das nenne ich eine Schärpe!

Der Hut
Wie Bahtlos, der König der Mecklenburgischen Freibeuter, an seinen Kapitänshut kam, war eine ganz merkwürdige Geschichte. Abgeschreckt von den hohen Preisen, die für historisch authentische Dreispitze aufgerufen werden, wollte Bahtlos sich selbst einen Hut schneidern und wurde so zu einer Art verrückter Hutmacher. Er schneiderte und nähte. Doch wie sehr er sich auch mühte, seine Hutkreationen waren allesamt nicht zu gebrauchen. Wenn er sie aufsetzte, dann sah es mal so aus, als wäre eine Krähe auf seinem Kopf verendet, ein anderes Mal schien er eine mutierte Perücke vom Mars zu tragen. Schließlich gab er auf.

Ohne Hut, nur mit Kopftuch, war er dann wie so oft auf der Mecklenburgischen Seenplatte auf Kaperfahrt. In einer Nacht weckte ihn ein schreckliches Unwetter. Der Wind rauschte mit Macht. Blitz und Donner lärmten und erhellten den finsteren Himmel, über den gewaltige Wolken rasten. Inmitten dieses Sturms tanzte die Alestorm auf den Wellen wie eine Nussschale. Da schien es dem Käpten, als würde er Kanonendonner hören, das Klirren von Entermessern und schrille Schreie. Durch den peitschenden Regen war nichts zu sehen. Am Morgen flaute der Sturm ab. Mit dem Unwetter verschwanden auch die schaurigen Geräusche.

Als Bahtlos über das nun wieder glatte Wasser schaute, trieb wie aus dem Nichts ein Dreispitz langsam auf ihn zu. Mit dem Bootshaken holte er den schwarzen Filzhut an Bord. Er roch nach Ruß und nach Meerwasser. Der Käpten ließ den Hut in der Sonne trocknen und behielt ihn. Dieser Hut ist nun sein Piratenkapitänshut.

Da schwimmt er heran, der verfluchte Hut. Vollgesogen mit dem Blut tapferer Seemänner, die nun in des toten Manns Kiste ruhen.

Die Waffen
Als Pirat kann Käpten Bahtlos nicht einfach um Almosen bitten. Er muss rauben und plündern! Dafür braucht er natürlich entsprechende Waffen. Die kleinen Messer an seinem Gürtel sind vor allem zum Schneiden des Pökelfleischs an Bord gedacht. Aber sein riesiges Entermesser nötigt allen Pfeffersäcken Respekt ab. „Es handelt sich bei dem Entermesser um einen detailgetreuen Nachbau“, so der Käpten stolz. Es gleiche der Klinge, mit der Kapitän Jack Sparrow über die Leinwand torkelte. „Ein moderner Pirat ist eine Mischung aus historischer Figur und Kunstcharakter. So wie meine Pistole, die zwar auch aussieht wie die Originale, aber erst vor wenigen Jahren von Büchsenmachermeistern gebaut wurde.“ Die Pistole steckt der Käpten in seine Gürtel, das Entermesser hängt an einem Bandelier, das er sich bei einer Ledermanufaktur hat anfertigen lassen.

Der berühmte "Schädelspalter" und der "Kopflocher". Am Bandelier baumeln zwei von zwölf Aposteln.

Der ganze kunterbunte Aufzug
Wenn der Käpten sich in Schale schmeißt, dauert das eine ganze Weile. Kein Wunder. Es ist ja auch eine ziemliche Menge, was er da alles an und mit sich herumschleppen muss: Stiefel, Hose, Hemd, Weste, Strümpfe, diverse Gürtel mit Klimbim dran, Kopftuch, Hut, Ohrring, Schärpe, Zunderbüchse, Feuereisen, Messer, Kapitänsmantel, Fernrohr, Rumflasche, ein Piece of eight (spanischer Dollar) als Glücksbringer, Bootsmannspfeife, Entermesser, Kompass, Vorderlader... Also ganz wie das karibische Original, denn ein zeitgenössisches Zitat beschreibt die barocke Männermode so: „Mit mancherley Farben von Nesteln, Bändeln, ... an Haut und Haaren, an Hosen und Wambs …behenket, beknöpfet und beladen.“ Und Piraten wollten natürlich noch mehr protzen mit all den Schätzen, die sie erbeutet hatten und setzten auf die eh schon überkandidelte Mode noch einen drauf. Darum waren sie oft extrem aufgebrezelt. Ein berühmter Pirat, Jack Rackham (1682-1720), war so ein Pfau. Da er stets einen auffälligen dreifarbigen Mantel trug, wurde er nur Calico-Jack genannt. Genau so ein Gockel wie Calico-Jack ist Käpten Bahtlos auch. „Soll bloß mal einer lachen! Den lasse ich kielholen!“, droht der Finsterling und setzt die Segel...